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Statement zur Rehabilitation eines Mitglied des Kollektivs

In letzter Zeit gab es verschiedene Artikel auf verschiedenen Plattformen/Kanälen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Mensch Meier. Wir möchten unseren Prozess und die Auseinandersetzung  mit sexualisierter Gewalt der letzten Jahre schildern.


Von Anfang an haben wir uns im Mensch Meier aktiv mit dem Thema sexualisierte Gewalt auseinandergesetzt. Wir handeln betroffenenorientiert. Dieser Grundsatz bedingt unsere Entscheidungen. Seit 2014 haben wir (später teilweise gemeinsam mit der Struktur des Awarenessteams) geschätzt 20 Fälle begleitet, wobei sich die betroffenen, sowie auslösenden Menschen in verschiedenen Kreisen (Crew, Künstler:innen, Veranstaltern:innen, Kollegen:innen und Betreiber:innenkollektivistas) des Mensch Meier oder in einem peripheren Netzwerk befinden/befunden haben. In unseren engsten freundschaftlichen und Crew-Kreisen befinden/befanden sich Menschen, die in der Vergangenheit sexualisierte Gewalt ausgeübt haben. Bis auf eine Ausnahme, haben alle diese Menschen keinen Zutritt zum Mensch Meier. Wir können nur über die Fälle sprechen, die uns bekannt sind. Mit einem Mitkollektivista des Betreiber:innenkollektiv des Mensch Meier (im Folgenden Text Kollektiv genannt) befinden wir uns in der gemeinsamen Aufarbeitung, Reflexion und Rehabilitation. Zwei andere ausübende Menschen haben wir in der Vergangenheit aus dem Kollektiv ausgeschlossen.

Wir haben uns von einem teils unbedarften und situativen Umgang, hin zu einem strukturierten Vorgehen und einem Schutzkonzept als Leitlinie entwickelt. Die Umsetzung bedarf immer wieder einer Evaluation und bringt Konsequenzen, die den Ablauf und die Arbeitsweisen im Betrieb beeinflussen. Wir arbeiten nach besten Wissen und Gewissen und im Möglichkeitsrahmen unserer Kräfte. Es wurden mit Sicherheit Fehler gemacht und Bedürfnisse von betroffenen Menschen nicht zu ihrer Zufriedenheit erfüllt. Wir haben unseren Prozess der Auseinandersetzung, der Weiterentwicklung, des Wissensstand und Reflexion der eigenen Entscheidungen und Gefühle ständig vorangetrieben. Für uns kann unser Ansatz nur als Versuch gewertet werden und dieser ist ein Prozess in dem wir uns weiterhin befinden.

Das dies teilweise als nicht ausreichend betrachtet wird, nehmen wir an. Wir sind keine Psychologen:innen, Therapeuten:innen oder Richter:innen. Wir betreiben einen Veranstaltungsort mit dem Anspruch auf ein faires, gewaltfreies und respektvolles Miteinander. Als Kollektiv des Mensch Meier tragen wir Verantwortung für unsere gemeinsamen Strukturen, Kollegen:innen und unsere Gäste. Dazu gehört in letzter Konsequenz eben auch, sich mit den darin entstehenden Konflikten auseinanderzusetzen. Im Spannungsfeld des Umgangs mit betroffenen Menschen, ausübenden Menschen und der darum liegenden Struktur kann es kaum Gewinner:innen geben.

Wir halten dennoch an einer bewussten Auseinandersetzung fest und an der Utopie, dass wir gemeinsam weiter kommen statt jede:r von uns alleine.

Im Juni 2021 gab es eine Benennung übergriffigen und sexistischen Verhaltens gegen ein Mitglied unseres Kollektiv. Wir danken der betroffenen Person und ihrem Umfeld, dass sie uns auf die erlebten Erfahrungen aufmerksam gemacht haben. Die betroffene Person hat sich gewünscht, keine weitere persönliche Aushandlung mit der ausübenden Person oder uns als Gruppe zu führen. Es wurde beschrieben, dass das sexistische und grenzüberschreitende Verhalten kein persönliches, sondern ein strukturelles Problem ist. Die Konsequenz daraus sollte eine strukturelle und öffentliche Auseinandersetzung über vorhandene Machtstrukturen sein. Wir konnten die Wünsche sehr gut nachempfinden und setzen uns seitdem im Kollektiv damit auseinander.

Wir sind heute an dem Punkt im Prozess angelangt, an welchem wir die ausübende Person aus unserem Kollektiv rehabilitieren möchten. Was für uns dazu gehört und auf welcher Grundlage wir diese Entscheidung treffen, versuchen wir in diesem Schreiben transparent zu machen.

Der benannte Mitkollektivist war zum Zeitpunkt der Benennung aktives Mitglied des Kollektiv, Teil des Booking für das Mensch Meier und die Räubahöhle Lärz sowie Networker im Name des Mensch Meier und dem Tatendrang e.V. Mit der Benennung haben wir uns dazu entschlossen, dass er die Arbeit im Mensch Meier, in der B-Lage sowie der Räubahöhle in Lärz weitestgehend niederlegt und sich aus Strukturen zurückziehen muss. Das hieß für uns, dass er nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnimmt oder diese organisiert und von allen Macht- und Entscheidungspositionen sowie der öffentlichen Kommunikation zurücktritt. Mit diesem Schritt konnten wir der gemeinsamen und persönlichen Bearbeitung und der strukturellen Auseinandersetzung mit internen Machtstrukturen Raum und Zeit geben. Seit Juni 2021 hat er verschiedene Zuarbeiten für Kollegis und/oder Mitkollektivistas ausgeführt. Strukturell nimmt er an Plena des Kollektivs ohne Stimmrecht teil.

Für eine gemeinsame Aufarbeitung und Verantwortungsübernahme haben wir uns an der Theorie der Transformative Justice orientiert. In sowohl professionell begleiteten als auch selbst moderierten Plena haben wir uns regelmäßig, mit und ohne den ausübenden Mitkollektivisten, mit Machtstrukturen innerhalb unserer Gruppe sowie des Mensch Meier auseinandergesetzt und unser Handeln und unsere Entscheidungsstrukturen der vergangenen Jahre reflektiert. Ein Fokus hatte die Re_Produktion patriarchaler und sexistischer Dynamiken. Wir haben erkannt, dass wir Verantwortung tragen für das, was in unseren Strukturen und Räumen passiert. Parallel zur Aufarbeitung der Vorwürfe gegenüber unseren Mitkollektivist haben wir an dem inzwischen veröffentlichten Schutzkonzept gearbeitet. Das Schutzkonzept gibt einen Handlungsplan für den Umgang mit sexualisierter Gewalt vor. Die Erarbeitung des Schutzkonzepts hatten wir zum Zeitpunkt der Benennung der Vorwürfe bereits gestartet. Für die Erarbeitung hatten wir professionelle inhaltliche Begleitung. Die gleichzeitige (Weiter-)Arbeit am Schutzkonzept hat es uns ermöglicht, die Aufarbeitung unserer Strukturen bewusster und reflektierter angehen zu können.

Die Reflexion über unsere Re_Produktion gesellschaftlicher Macht- und Ungleichverhältnisse, über eigene Privilegien und unsere gesellschaftliche Positionierung sowie über unsere Handlungen in diesem patriarchal geprägten Gesellschaft betrachten wir als nicht abgeschlossen. Uns ist bewusst, dass die Aufarbeitung und Bewusstmachung ein fortlaufender Prozess ist, dem wir auch künftig Zeit und Raum geben müssen.

Als Kollektiv und in Absprache mit Kollegen:innen aus dem gewerkeübergreifenden Delegierten-Plenum können wir heute die Verantwortung für die Rehabilitation von unserem Mitkollektivist tragen.

Ausschlaggebend dafür ist nicht nur unsere Auseinandersetzung innerhalb des Kollektiv. Seine Auseinandersetzung mit sich selbst als grenzüberschreitende Person ist für uns eine essentielle Grundvoraussetzung. Er hält sich ohne Ausüben von Druck an alle Absprachen. Mit der Benennung der Vorwürfe gegen sich ist er in eine kritische Auseinandersetzung und Selbstreflexion zu seinem grenzüberschreitenden und sexistischen Verhalten gegangen. Er hat sich mit seinen eigenen Privilegien, toxischer Männlichkeit, seinem Verhalten in Gruppen und im Partykontext auseinandergesetzt. Er hat u.a. seinen Konsum kritisch reflektiert und verändert. Des Weiteren bestand ein großer Teil der Reflexion in einer 100-stündigen Psychotherapie, die ihm geholfen hat zu verstehen warum er grenzüberschreitend und sexistisch gehandelt hat. Die Erkenntnisse daraus haben wir ebenfalls im Kollektiv und in Einzelgesprächen reflektiert. Wir sind und waren Teil von den Räumen und Situationen, in denen Grenzüberschreitungen und Sexismus passiert sind. Wir verstehen, dass die Strukturen, die wir mitgestalten, begünstigend gewirkt haben. Wir verstehen ebenso, dass wir die von uns gestalteten Räume auch zukünftig immer wieder kritisch auf die Re_Produktion von Herrschaftsverhältnissen überprüfen müssen.

Unabhängig von den Vorwürfen gegenüber Mitkollektivisten, gab es eine intensive Aufarbeitung von Gewalt (jeglicher Art), Sexismus, Privilegien, Aggressionen, Konflikten, Sprache und Rollenmuster innerhalb unseres Kollektiv. Wir haben uns die letzten 14 Jahre angesehen und über bisher auch unaufgearbeitete Vorfälle gesprochen bzw. diese aufgedeckt.

Seit Juni 2021 hat der ausübende Mitkollektivist den Auseinandersetzungsprozess in regelmäßigen Briefen und Gesprächen an das Kollektiv transparent gemacht. Für Rückfragen, Kritik oder Gesprächsbedarf ist er zu jedem Zeitpunkt offen gewesen und ist dieses weiterhin.

All dies bewegt uns dazu, den Weg der Rehabilitation zurück in unsere Strukturen zu gehen. Die Auseinandersetzung mit sich und seinem Verhalten und die Entwicklung darin gibt uns das Vertrauen, dass er sein Handeln verändert hat. Wir übernehmen die Verantwortung dafür, dass er in Zukunft Grenzen anderer Menschen sieht und nicht übergeht. Eine endgültige Garantie dafür gibt es nicht (in keinem Kontext). Deshalb ist es uns wichtig, für uns und die Öffentlichkeit festzuhalten, dass die Entscheidung der Rehabilitation jederzeit rückgängig gemacht werden kann. Die strukturelle Auseinandersetzung wird auch nach der Rehabilitation von unserem Mitkollektivist in unsere öffentlichen und sichtbaren Strukturen weitergehen.

Die Rehabilitation von unserem Mitkollektivist beinhaltet für uns die Rückkehr in öffentliche Strukturen. Das heißt im Detail, dass er wieder an öffentlichen Veranstaltungen des Tatendrang e.V., im Mensch Meier und in der B-Lage teilnehmen wird.

Wir sehen die Notwendigkeit, Menschen, die sich grenzüberschreitend verhalten haben, eine Chance der Rehabilitation zu bieten, sofern die Rahmenbedingungen dafür gegeben sind. Ausschlüsse sind ein wirkmächtiges und notwendiges Instrument, um Schutzräume zu schaffen und sicherzustellen. Das ist für uns unstrittig und wird umgesetzt. Um patriarchale Machtstrukturen überwinden zu können und toxisches Verhalten im Einzelnen und im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu reflektieren, braucht es einen Prozess. Eine Rehabilitation haben wir als Ziel formuliert, um eine nachhaltige Veränderung zu schaffen und Ausschluss nicht als universelle und einzige Lösung anzunehmen. Die von uns formulierten Rahmenbedingungen haben wir in unserem Schutzkonzept unter Punkt 9 festgehalten.

Wir sind der Überzeugung, dass wir gesellschaftliche Missstände nur gemeinsam überwinden können. Unter der Voraussetzung, dass sich an Absprachen, die den Wünschen der Betroffenen entsprechen, gehalten wird und ein verändertes Verhalten sichtbar und spürbar ist, glauben wir daran, dass Menschen aus Fehlern lernen und Zugänge zu Räumen unter bestimmten Bedingungen wieder möglich werden können.

Bei Redebedarf, Rückfragen, Kritik etc. meldet euch bitte bei uns unter kontakt@menschmeier.berlin. Feedback und Gedanken sind uns wichtig und helfen uns im Prozess.

Ein großes Danke an alle die sich an diesem Prozess beteiligt haben und/oder weiterhin beteiligen.

Für einen besseren, emanzipatorischen, utopischen Umgang miteinander.

Stand: 26.09.2023